Kürzlich erhielt ich ein email mit einer Einladung zu einem Frühlings-Retreat. Ich dachte, ‚großartig, klingt gut‘. Ich hatte nicht die Absicht teilzunehmen, aber mir gefiel der Hintergrund der Einladung und ich stellte mir eine Gruppe von netten Menschen vor und freute mich darüber.
Einige Minuten später kam die erste Reaktion. Ein Mitglied der Zielgruppe der Einladung antwortet. Die Frage betraf den Hintergrund der Einladung. Diesbezüglich war es eine typische klärende Frage. UND die Antwort hatte bezüglich der Einladung selbst Vorbehalte. Um eine lange Geschichte abzukürzen, dieser ersten Antwort folgten ein langer Strom von emails: von den Gastgebern über den Hintergrund, von Mitgliedern der Zielgruppe, von weiteren Menschen. Fast alle berichteten über Ihre Gefühlslage die Einladung betreffend. Es tauchten Geschichten aus der Vergangenheit auf, verletzte Gefühle, Fassungslosigkeit, Ärger. Alles infolge einer Einladung, die mit den besten Absichten abgeschickt worden war.
Jede/r kennt diese Situationen: jemand sagt oder schreibt etwas und als ZuhörerIn oder LeserIn, fühlen wir spontan etwas. Das passiert automatisch, ein Auslöser führt zu einer emotionalen Reaktion. Das ist völlig normal – es ist einfach so. Wenn die Reaktion positiv ist, gibt es in der Regel kein Problem. Anders verhält es sich bei negativen Reaktionen.
Handlungsmöglichkeiten
Wir treffen wir eine Wahl. Ich unterscheide – in einer Situation wie oben – drei mögliche Handlungsmöglichkeiten:
- Warten. Vielleicht gibt es mehr Information, die dann die Lücken ausfüllt und zu einem vollständiges Bild führt. Wenn wir uns entschließen zu warten, sollten wir das Thema auch gedanklich beiseite legen.
- Spontan handeln. Wir äußern sofort Gefühle, Bedenken, Meinungen darüber, was unserer Meinung nach gerade passiert. Üblicherweise enthält das eine Vielzahl von Annahmen. Es können auch Gefühle auftauchen, die mit verwandten Themen verbunden sind. Wenn wir uns entscheiden, spontan zu handeln, starten wir damit vielleicht eine Kettenreaktion, die wir so nicht beabsichtigt haben.
- Überlegt handeln. Wir denken möglicherweise über das Thema nach. Wenn wir sehr negative Gefühle haben, unternehmen wir etwas um emotional in einen besseren Zustand zu kommen. Unser Blick wird klarer und wir können wieder sehen, was tatsächlich vorgeht. Dann stellen wir idealerweise klärende Fragen.
Wenn wir uns entscheiden, überlegt zu handeln, schaffen wir mehr Möglichkeiten: für uns selbst und für andere.
Den emotionalen Zustand ändern
Wenn wir überlegt handeln wollen und negative Gefühle haben, versuchen wir zuerst, uns besser zu fühlen. Dann sind wir zentrierter und können auf mehr Ressourcen zugreifen als nur auf unsere aktuellen Emotionen. Wie können wir das tun?
- Einen (langen) Spaziergang in der Natur machen
- Ins Fitness-Studio gehen
- Musik hören
- Meditieren
- Mit einem Freund / einer Freundin sprechen
- Uns etwas Gutes tun
- Bewusst Atmen
sind einige Beispiele. In Ihrem Buch ‚Ask and it is given‘ präsentieren die AutorInnen viele Techniken um den emotionalen Zustand zu ändern.
Manchmal geht es schnell, ein anderes mal dauert es länger bis wir uns in der Lage fühlen, überlegt zu handeln.
Besonders wichtig ist es, solche Techniken nutzen zu können, wenn es schnell gehen muss – also wenn wir uns quasi in ‚Sekunden‘ in einen anderen Zustand bringen müssen (Sie halten einen Vortrag, das Publikum reagiert aus Ihrer Sicht eigenartig, Sie leiten ein Meeting und erhalten eine Frage, die einen Ihrer ‚Knöpfe‘ drückt). Auch in diesen Situationen sind klärende Fragen hilfreich.
Was (klärend) fragen?
Ein Weg überlegt zu handeln – auch in den Situationen, wo es im selben Augenblick sein muss – sind klärende Fragen:
- Können Sie mir mehr über xy erzählen?
- Was ist der Grund von xy?
- Ich bin neugierig, warum haben Sie sich für xy entschieden?
- Als Sie xy entworfen haben, was waren Ihre Überlegungen dazu?
- Welches Ergebnis erwarten Sie durch xy?
- Hier gibt es viel unruhige Energie – habe ich etwas verpasst?
Klärende Fragen kommen idealerweise aus einer Haltung der Neugier, dem Wunsch nach mehr Informationen so dass wir es für uns einordnen können und entscheiden können, ob wir uns näher damit befassen wollen oder nicht.
Die magische Wirkung von klärenden Fragen
Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie eine starke negative emotionale Reaktion hatten und später erfahren haben, dass das was passiert war eigentlich eine ganz andere Bedeutung hatte, als Sie ursprünglich angenommen haben? Bei mir war das mehr als einmal der Fall.
Eine klärende Frage zu stellen, hätte da sehr geholfen. Und manchmal ist es so, als ob aus einem vollen ‚Ballon‘ aus Ärger, Unmut, Überforderung durch eine Frage – und deren Antwort – ganz plötzlich die Luft herausgelassen wird – das sind die Augenblicke, die fast wie Magie scheinen.
Diese magische Wirkung von klärenden Fragen umfasst – ohne Anspruch auf Vollständigkeit
- dass sich die Situation völlig anders herausstellt als Sie (und andere) ursprünglich gedacht hatten (nachdem Sie mehr Information erhalten haben) und dass es nichts zu tun gibt, vor allem nichts, worüber man sich ärgern müsste.
- die Möglichkeit, Themen auszusortieren, die nichts mit der Situation selbst zu tun haben.
- Sie und andere keine emotionale Achterbahnfahrt unternehmen müssen.
- die Entdeckung, dass es ein großes darunterliegendes Thema gibt, das bisher niemand gesehen hat z.B. ganz grundlegende Auffassungsunterschiede. Diese zu bearbeiten, kann einen eigenen Rahmen (Zeit und Raum und vielleicht auch Menschen) brauchen.
Die beiden folgenden Aspekte sind zusammenfassend für mich die wichtigsten Qualitäten von klärenden Fragen in schwierigen Situationen:
- Thematisch: Nur wenn wir Raum für Dialog schaffen (wirklich zuhören und sprechen), gibt es eine echte Chance, tiefgreifende Ursachen zu erkennen und aufzulösen, die lange unter der Oberfläche gewirkt haben.
- Emotional: negative Emotionen verringern oder vermeiden (erhöhen Produktivität oder Lebensqualität) und unterstützen dadurch gute Beziehungen und ein besseres Verständnis der anstehenden Themen.
In der Situation, die ich eingangs beschrieben habe, gibt es einige darunterliegende größere Themen, die die Reaktionen verstärkt haben. Geschriebene Kommunikation ist in solchen Situationen besonders gefährlich, weil sie ein Eigenleben entwickelt und oft mehr zu Disharmonie beiträgt als zu einer guten Lösung.
Klärende Fragen zu stellen alleine, wird solche Situationen nicht lösen. Aber sie sorgen dafür, dass für die wichtigen Themen ein eigener Raum geschaffen wird, an dem sie behandelt werden, anstatt bei einem anderen Thema zu negativen Gefühlen und einer schlechten Stimmung beizutragen.
Stellen Sie sich einmal vor…
Die letzte problematische Situation die Sie in Ihrer Organisation (oder auch der Familie) hatten und wo Sie Ihre Reaktion im Nachhinein als nicht angemessen empfunden haben. Können Sie sich vorstellen, wie Sie mit dieser Situation viel rascher und mehr mit sich im Einklang hätten umgehen können, wenn Sie klärende Fragen gestellt hätten? Es kommt vielleicht nicht immer das heraus, was wir uns wünschen, aber wenn wir Klarheit haben, können wir unsere Zeit und Energie viel bewusster und effektiver einsetzen.
Wenn es sich um Situationen handelt in denen Emotionen freigesetzt werden, ist es wichtig die eigenen Emotionen im Griff zu haben, damit man in der Lage ist die klärenden Fragen zu stellen. Das sollte man üben, sonst kommt man nicht dazu die richtigen klärenden Fragen zu stellen.
Ich habe es einige Male erlebt, dass ich das Gefühl hatte persönlich für eine Sache/Situation verantwortlich gemacht zu werden, obwohl meine Aufgabe war Lösungen für diese Sache/Situation mit einer Gruppe zu entwickeln.
In solchen Situationen ist es wichtig, den persönlichen Angriff nicht ernst zu nehmen und weiterhin auf die Aufgabe/das Ziel fokussiert zu bleiben. Damit bleibt die Neugierde auf weitere Informationen und die klärenden Fragen kommen fast von selbst.
Genau aus diesem Grund ist es wichtig, zuerst den eigenen emotionalen Zustand zu ändern – vor allem, wenn es schnell gehen muss! Das Schöne daran, man kann es wirklich üben!